Predigt zu Jeremia 23,5–8 (Pastor Henning Hinrichs)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
manchmal reicht ja nur ein Moment, der ein ganzes Leben bestimmt. Dieser eine Moment, von dem man immer wieder redet.
Mir geht das oftmals bei Trauergesprächen so, dass es Erlebnisse gibt, die immer wieder erzählt werden. Dieses eine Erlebnis des Kennen- und Liebenlernens eines Paares etwa.
Monatelang ist man im selben Bus zur Schule- oder zur Arbeit gefahren, und dann, eines Tages, ist er plötzlich aufgestanden, auf sie zugerannt und hat ihr einfach einen Kuss auf den Mund gedrückt, ist dann geradezu aus dem Bus geflohen vor den Konsequenzen und beim nächsten Mal mit klopfendem Herzen hat sie ihn angelächelt.
Der beeindruckende Beginn einer Beziehung.
Dann später auf jedem Geburts- oder Hochzeitstag erzählt. Die Kinder haben schon manchmal die Augen verdreht. Wie oft haben sie diese Geschichte schon gehört? Tausendmal? Gefühlt auf jeden Fall. Aber schön ist sie eben doch.
Alle Dortmund-Fans erinnern sich mit glänzenden Augen an den Fußballer Lars Ricken. Wissen Sie noch, wie er im Champions-League-Finale am 28. Mai 1997 im Münchner Olympiastadion gegen Juventus Turin rund zehn Sekunden nach seiner Einwechslung in der 71. Minute mit seinem ersten Ballkontakt den weit vor dem Tor stehenden Turiner Torwart Angelo Peruzzi mit einer Bogenlampe aus 25 Metern zum spielentscheidenden 3:1 überwand. Der Treffer war 1997 Tor des Jahres und wurde anlässlich der 100-Jahr-Feier von Borussia Dortmund von den Vereinsfans zum „BVB-Tor des Jahrhunderts“ gewählt.
In den folgenden Jahren konnte Lars Ricken jedoch nicht mehr an seine frühen Erfolge anknüpfen. Bald wurde er aussortiert, aber dieses eine Tor ging in die Geschichtsbücher ein und sorgt bei Fans bei Nennung seines Namens immer noch für wohliges Erzittern. L-A-R-S-R-I-C-K-E-N. Weißt du noch!
Weißt du noch!
Manchmal reichen solche einmaligen Erlebnisse.
Es gibt aber auch die Fans, die die Gegenwart in den Blick nehmen und merken, dass der Zauber alter Tage allzu lange her ist. Dass seitdem wenig bis gar nichts passiert ist. Wann hat Dortmund denn das letzte Mal die Champions-League gewonnen? Besonders schmerzhaft das verlorene Finale gegen die Bayern, gerade gegen die Bayern 2012!
Oder Paare, die trotz dieses zauberhaften Beginns mittlerweile auch in ihrer Beziehung in einen allzu grauen Alltag abgesackt sind. Übriggeblieben ist der Gute-Nacht-Kuss an Abend. Aber der Zauber ist dahin.
Warum erzählt man sich denn die alten Geschichten?
Wenn man sich bloß an Vergangenes erinnert, dann verlieren sie wirklich die Kraft, die in ihnen steckt, dann werden sie zu ollen Kamellen und alle verdrehen die Augen, wenn sie wieder einmal erzählt werden. Das gab´s nur einmal, das kommt nicht wieder…
Man kann sie aber auch erzählen mit dem Impuls, dass der Zauber dieses einen Erlebnisses nicht tot ist, dass er immer noch wirken und dass er sich wieder ereignen kann. Und dann wird das Erinnern zur Hoffnung auf Wiederholung.
Aus diesem Grund hat Israel immer wieder die uralte Geschichte von der Befreiung aus Ägypten erzählt, wie Gott sie durch Mose aus der Sklaverei herausgeführt und Ihnen das Gelobte Land geschenkt hatte.
Weißt du noch: Gott hat uns damals gerettet.
Dieses „Weißt du noch!“ bedeutet eigentlich: „…und Gott wird es wieder tun!“
Diese Hoffnung war für Israel überlebenswichtig. Mittlerweile waren Kriege verloren worden, der Staat Israel aufgelöst, das gelobte Land verloren und Priester, Händler und Politiker deportiert nach Babylonien. Die große Verheißung Gottes auf ein Leben in dem Land, in dem Milch und Honig fließen, war zerstört, und übrig blieben Wasser und trockenes Brot einer erneuten Sklaverei.
„Weißt du noch, wie ich mich damals im Bus getraut habe, einfach auf dich zuzulaufen und dir diesen Kuss gegeben habe, als wenn es kein Morgen gäbe. Ich war wie von Sinnen und einfach nur glücklich und verwirrt. Und dann, am nächsten Morgen im Bus hast du mich angelächelt, den Platz neben dir frei gemacht, und ich konnte mich neben meine zukünftige Frau setzen - jeden weiteren Morgen bis heute.
Damals war Zauber, weißt du noch! Lass uns diesen Zauber doch auch heute erleben. Wir können das immer noch!“
Vielleicht passiert ja schon allein deshalb neues Zauberhaftes, wenn man das Vergangene in dem Bewusstsein erzählt, dass es nicht nur vergangen ist, dass es jetzt passieren kann, wenn ich nur hoffe und mich dafür einsetze. Wenn ich mich nicht abfinde, sondern etwas tue für die Beziehung. Wenn ich mitdenke, was mein Gegenüber eigentlich von mir braucht. Etwas Verrücktes oder einfach nur Aufmerksamkeit, oder was auch immer. Ich weiß doch noch, was der Zauber von damals war. Lebe ich ihn doch heute!
Der Zauber der Beziehung zwischen Israel und Gott war das unverbrüchliche Vertrauen des Volkes in Gott, ihr Glaube an Gott. Ihre Bereitschaft, Gottes Weisungen zu folgen und seine Nähe, sein Wirken mitten unter ihnen.
Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft (5. Mose 6,4-5). Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (3. Mose 19,18).
Weißt du noch! Das wurde dir damals gesagt und es gilt noch immer. Und du kannst es jetzt leben. In deinem Glauben, in deinem Handeln. Und Gott wird bei dir sein. Und Gott wird für dich da sein. Er wird dich retten.
Der Prophet Jeremia, der zu den Deportierten in Babylon spricht, greift auf das Urerlebnis in Ägypten zurück, aber er überträgt es in die Gegenwart, weil er den Menschen zu seiner Zeit sagen will: jetzt wird Gott an euch handeln. Was er damals getan hat, wird er wieder tun. Und so gibt er die zugleich alte und immer wieder neue Verheißung Gottes weiter:
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«.
Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.
Worauf es jetzt ankommt, ist dein Vertrauen in Gottes Verheißung, dein Glaube, und dein Handeln, so wie es Gott will: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
2500 Jahre später feiern wir den 1. Advent.
In christlicher Vorstellung wird die israelitische Hoffnung auf einen neuen König adaptiert und auf Jesus Christus übertragen. Gott wird kommen in seinem Sohn, um der Welt Recht und Gerechtigkeit, Frieden, ja ewiges Leben zu bringen.
Und wem das zu groß klingt: ganz persönlich funktioniert diese Hoffnung auch, weil wir nicht mehr nur vom Volk denken, sondern doch eher über die Jahrtausende ganz individuell von unserem persönlichen Geschick. Gott kommt zu dir, in dein Haus, in dein Herz. Das ist eine ganz persönliche Adventsverheißung. Er will zu dir kommen. Er will dir Erlösung und Freiheit, ein gutes Leben schenken.
Und es ist vielleicht genauso wie damals mit dem Volk Israel. Da steht nun die Verheißung. Im Kopf noch die Erinnerungen an die Zeit damals, als alles gut war, ebenso die Erinnerungen an all das, was schiefgelaufen ist, was schwer ist und gegen jede Hoffnung steht. Was soll jetzt noch kommen?
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR: von Recht, Gerechtigkeit, Hilfe und sicherem Leben.
Woran kannst du noch glauben?
Auch wenn es manchmal oder oft schwerfällt, gegenüber Gott sollte es das Größte sein, auch wenn ich es noch nicht sehe. Gleich, ob es nun um die Welt, die Christen und Christinnen oder einfach nur um mich geht. Gott kommt zu dir, in dein Haus, in dein Herz. Er will zu dir kommen. Er will dir Erlösung und Freiheit, ein gutes und schließlich ewiges Leben schenken. Alles hängt davon ab, Hoffnung und Glaube wach zu halten.
Der Blick in eine schöne Vergangenheit ist berührend, aber, Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, in der ich mit dir nach vorne schaue, und die Zukunft wird alles überstrahlen.
Glaube und hoffe, handle danach. Gott kommt zu dir.
Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.