Interview mit Hans-Christian Friedrichs: Pilgern

Konnten Sie am 13.02. nicht zum Gottesdienst für Ausgeschlafene kommen und interessieren sich aber dafür, was Hans-Christian Friedrichs zu seinem Erfahrungen mit dem Pilgern erzählt hat?

Dann haben Sie hier die Möglichkeit zum Nachlesen. Viel Spaß dabei.

Warum pilgern Sie, Herr Friedrichs?

Diese Frage wurde mir zuletzt am 21. August 2019 in Sauveterre-de-Béarn in Frankreich, nur zwei Tagesetappen von den Pyrenäen entfernt, gestellt. Dort wurden wir mittags von einer Gruppe Ehrenamtlicher der Pfarrei “Saint Jacques des Gaves Sauveterre de Bearn” zum Essen eingeladen, was eine ganz wunderbare und überraschende Erfahrung war. Auf dem Weg zum Gemeindehaus fragte mich unser Gastgeber, warum ich denn pilgere. Für diese Frage hatte ich mir immer eine komplizierte Erklärung zurechtgelegt, wie 2006 alles anfing und was mich motivierte weiterzumachen, insbesondere auf unserem Weg von Świnoujście zum Ende der Welt ans Kap Finisterre. Die Antwort auf die Frage, warum ich denn pilgere, hätte niemals in wenige Worte auf Französisch oder Englisch, was etwas einfacher war, gepasst. Glücklicherweise fielen mir aber genau die wenigen richtigen Worte ein: “Peace and understanding”, also etwa Frieden und Verständnis. Das ist der Wunsch nach weltweitem Frieden und die Bereitschaft zu verstehen. Der Wunsch nach Frieden ergibt sich beim Pilgern in Polen und Frankreich schon aufgrund der zahlreichen Spuren grausamer kriegerischer Auseinandersetzungen, die allgegenwärtig sind. Da sehe ich mein Pilgern auch als einen Weg der Versöhnung. Geht man diesen Weg dann mit offenen Augen - achtsam - nicht nur der schönen Landschaften wegen, dann wollen wir das Gesehene verstehen. Aus dieser Offenheit und Neugier ergeben sich immer wieder herzliche Begegnungen mit anderen, die uns vor dem Hintergrund einer schwierigen gemeinsamen Geschichte ein ganz wunderbares Bild von friedlichen liebenswerten Menschen vermitteln

Wie wählen Sie Weg und Ziel aus?

Wege sind in der Regel die großen europäischen Pilgerwege des Jakobsweges nach Santiago de Compostela und des Olavsweges nach Trondheim. Meist haben wir nur etwa drei Wochen Urlaub, sodass wir dort weiterlaufen, wo wir zuletzt aufgehört haben. Ideal ist, wenn dieser Ort einen Bahnhof besitzt. Darauf haben wir zum Beispiel im Süden Frankreichs geachtet. Es geht also nicht nach Schönheit. Wir wollen eine Region als Ganzes mit all ihren Ecken und Kanten kennenlernen und verstehen.

Was unterscheidet Pilgern vom Wandern?

Wenn wir wandern, suchen wir einen Weg aus, der vielleicht wegen seiner Naturschönheiten besonders attraktiv ist. Beim Pilgern lassen wir uns auf den ganzen Weg ein, überspringen auch nichts mit dem Bus, wie das Hape Kerkeling so gern getan hat. Hinzu kommt das Bewusstsein, dass diese Wege schon vor Jahrhunderten von zahllosen Mitpilgern, vielleicht mit ähnlichen Beweggründen, gegangen wurden. Das spiegelt sich an vielen Zeugnissen entlang des Weges wieder. Man ist also Teil einer großen Gemeinschaft, auch an einsamen Tagen. Weiter nehmen wir uns die Zeit und Muße einmal in sich zu gehen, Kirchen zu besuchen, und den Weg auf uns wirken zu lassen. So war ich einmal in Norwegen eine Zeit lang allein unterwegs, als ich auf einem Waldweg plötzlich vor einer wunderschönen Tanne stand, die eine besondere Ausstrahlung hatte. Für viele ist Pilgern besonders das Ziel, zu sich selbst und zu Gott zu finden. Pilgern ist auch Wandern, aber nicht umgekehrt. Letztlich sind die Grenzen aber fließend

Was hat das Pilgern mit Ihrem Glauben gemacht?

Zu Beginn einer Pilgerreise in einem Kloster in Sankt Augustin sagte mir ein guter Freund und katholischer Geistlicher einmal “nimm nur nicht alles wörtlich, was in der Bibel steht!” Mit diesem Gedanken kann ich gut leben. Immerhin hat dieser Satz mich auch auf einer Pilgerreise überzeugt. Der Weg an sich und seine Herausforderungen, insbesondere jeden Abend ein Dach über dem Kopf zu haben, hat aber zu so verblüffenden Erfahrungen geführt, die einen nicht unberührt lassen, so dass von der ersten Tour an ein gewisses Vertrauen gewachsen ist. Manche würden Gottvertrauen sagen. Ob ich es Selbstvertrauen nennen kann, weiss ich gar nicht. Schließlich habe ich selbst wenig zu den besonderen Fügungen beigetragen.

Was waren tolle, eindrückliche Erlebnisse, die Sie so nicht erwartet haben?

Das war zum Beispiel die Begegnung mit zwei recht alten Leuten mitten in Frankreich, die uns zu sich nach Hause zum Kaffee einluden. Ich bedaure heute noch, dass wir die Einladung nicht angenommen haben. In der Schweiz gab es eine ähnliche Einladung, der wir umgehend gefolgt waren. Es gab Kaffee und Kuchen und eine berührende Lebensgeschichte. Oder der bewegende Abschied im Morgengrauen auf der Brücke von Puente la Reina von Fren, einer Mitpilgerin aus Florida, die zurück in die Heimat musste, wo sie ein herannahender Wirbelsturm erwartete. Oder die beiden Amerikaner, die auf dem Jakobsweg und in Europa unterwegs waren, um die Wurzeln ihrer Familie zu suchen. Vermutlich kommen unsere Familien sogar aus der gleichen Region - zumindest im weitesten Sinne. So gibt es sehr viele bewegende menschliche Begegnungen, die unvergesslich sind. Aber auch alleine zu gehen, ist eine besonders intensive Erfahrung. So war ich extrem bewegt, nach einem nassen und kalten Tag in Galizien von einem freundlichen Gastwirt ein Mittagessen für nur einen symbolischen Euro zu bekommen. Man muss sich einfach darauf einlassen!

Gab es auch Situationen, in denen etwas schiefgelaufen ist? Wie sind Sie damit umgegangen?

Ja, als wir uns in Norwegen am ersten Tag verlaufen hatten, zum Beispiel. Da ist dann nicht immer die großer Zuversicht. Wir sind letztlich umgekehrt und haben den richtigen Weg gefunden. Und am Ende des Tages hatten wir auch eine Hütte zum Übernachten gefunden, ohne Planung, nur mit Hoffnung.

Wir haben uns mehrmals am ersten Tag übernommen, sind meist zu weit gegangen und haben uns Blasen geholt. Aber darüber kommt man hinweg. Entscheidend ist, dass es trotz aller Widrigkeiten immer ein Happy End gab, so auch in Sainte-Marguerite in Lothringen bei Monique, wo wir ein fabelhaftes Zimmer und Abendessen bekamen.

Welche Erwartungen haben Sie an die nächste Pilgerreise?

Die Erwartungen sind sehr bescheiden. Wir haben vielmehr Hoffnungen. So hat sich nun nach vielen Jahren des Zögerns eine alte Freundin entschlossen, erstmal mit uns auf den Camino zu gehen. Ich habe also die Hoffnung, dass diese gemeinsame Reise zustande kommt und dass wir unsere guten Erfahrungen mit jemandem teilen können. Und natürlich hoffen wir, dass uns auch die kommenden Pilgerreisen wieder viel Kraft und Energie, aber auch Gelassenheit für den Alltag geben. Auch, dass wir mit schwierigen Situationen mit einem ähnlichen Optimismus umgehen, wie wir es auf dem Camino tun.

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