Gottesdienst Predigt vom 14.04.2017

Predigt zu Jesaja 53,1 – 12 – Pastor Henning Hinrichs


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
Maria hält ihren toten Sohn im Arm. Es gibt viele Darstellungen dieser Szene, die bekannteste von Michelangelo im Petersdom. Man nennt sie die Pietà. Maria mit dem toten Jesus. Er liegt auf ihrem Schoß in ihren Armen, hat es jetzt auch überstanden, in seiner dahin gegossenen, kraftlosen Haltung liegt auch, jetzt nach dem Schrecken, eine tiefe Ruhe, ebenso auf Marias Gesicht, die Augen geschlossen. Es lässt sich nur erahnen, was Maria empfindet. Es pulst hinter ihren Lidern.
Sie hat ihren Sohn einst geboren und ihn im Arm gehalten, als er ein kleines Kind war. Nun ist er zu ihr zurückgekehrt. Wie hat sie es ertragen, ihn am Kreuz sterben zu sehen? Sie hat den Spott der Vorübergehenden mit anhören müssen und gesehen, wie die Soldaten die Kleider ihres Sohnes unter sich geteilt und verlost haben. Sie hat auf seinen misshandelten Körper mit den blutenden Wunden geblickt und hat gehört und gesehen, wie er verzweifelt um Luft rang, schrie und starb.
Und dann sind ihr wohl diese alten Worte durch Kopf und Herz gegangen: Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg.

Sie hat sie gesehen, die Menschen, die vorüber eilten an dem Kreuz, ihr Gesicht wegdrehten. Zu blutig, zu abstoßend, zu desinteressiert: „Ich habe keine Zeit, was hat das mit mir zu tun?“ Jesus hatte mal von einer ähnlichen Szene erzählt: „Was hat das mit mir zu tun? Ich muss weiter.“
Und dann sind da die stierenden Augen derer, die genau hinschauen und die genau wissen, warum das alles so kommen musste. In ihren Augen spiegeln sich Ekel, Verachtung, Selbstgefälligkeit. „Na, ja, er war ja auch ein Verbrecher, wollte alles anders machen, umstürzen! Geschieht ihm recht!“
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.
Das alte Lied aus dem Buch des Propheten Jesaja vom Gottesknecht. Sie kennt es. Oft hat sie es gehört, wenn es in der Synagoge vorgelesen wurde. Niemand weiß, wessen Leiden da eigentlich beschrieben wird, dieses Leidenden, der irgendwie nahe zu Gott gehört. Einer, der Gott dient und ihm gehorsam ist.
Sollte das ihr Sohn sein, ihr Sohn?! Solche Menschen hat es immer in ihrem Volk gegeben. Menschen, die Gott gehorsam waren, auch wenn es sie am Ende das Leben kostete. Männer des Glaubens, die in ihrer Haltung wegweisend waren. Gottesknechte. Ein Knecht ist einer, der die schwerste Arbeit tut und dafür nur geringen Lohn erhält. Sollte das ihr Sohn sein, ihr Sohn?!
Manchmal war er wie ein Dichter, seine Worte trafen ins Herz, wurden von anderen genau so weiter erzählt. Wer ihn hörte, schwieg betroffen, und einmal hörte selbst ein Sturm auf ihn und war plötzlich still. Sicher, seine Bilder und Vergleiche waren schwierig zu verstehen, und doch saßen die Leute stundenlang, hörten zu, sahen zu.
Und dann seine Wunder. Er ging zu Fuß auf einem See, gab Blinden Augenlicht, Gelähmten einen beherzten Gang. Wein aus Wasser machte er, weckte sogar Menschen auf vom Tod. Und das jetzt, wo war all sein Reden und Tun?
Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.
Wenn er von Gott sprach, klang das anders als in diesem Lied. „Vater“ nannte er ihn. Da war keine Furcht in seiner Rede. Keine Unterdrückung klang da an, sondern Liebe und Freiheit und Vertrauen. „Ich und der Vater sind eins.“ So spricht kein Knecht. Und doch hat er sich nicht gewehrt im Prozess. Hat sich nicht verteidigt, hat nur geschwiegen. Nur einmal hat er kurz geantwortet. „Bist du Gottes Sohn?“, hatte ihn der Hohepriester gefragt. „Du sagst es“, hat er entgegnet. Ein Rätselwort, das alles sagt oder nichts. Es kann bedeuten: „Ja, ich bin’s.“ Oder es kann bedeuten: „Du behauptest es.“
„Ich und der Vater sind eins.“ Ganz und gar und frei von Zweifeln hat er sich mit Gott verbunden gefühlt. Schon damals war die Bindung an Gott stärker gewesen als die Bindung an seine Familie. Ging ihr das auch jetzt durch Kopf und Herz? Innerlich gehörte er doch längst nicht mehr zu ihnen.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Maria hält ihren toten Sohn im Arm. Er muss noch, bald, begraben werden. Sie muss ihn irgendwann loslassen. Loslassen, begraben, was sie je an Hoffnungen und Träumen gehabt hat. Sie betrachtet seinen zerschundenen, misshandelten Körper. Sie sieht die Wunden der Nägel vom Kreuz, von der Dornenkrone, und die Striemen von der Geißelung zuvor. Zerschlagen, verletzt. Das haben sie aus ihm gemacht, die Ankläger. Und er hat es über sich ergehen lassen, wehrlos, ohnmächtig fast. Finster ist es geworden, und niemand hat geholfen, kein Mensch und kein Gott.
Während sie ihren Sohn hält und auf die Männer wartet, die ihn zu Grabe tragen wollen, denkt sie daran, wie sie diesen Sohn geboren hat. Sie denkt auch an die schwere Zeit vor der Geburt. Damals, ganz am Anfang, hatte sie eine Erscheinung. Ein Bote Gottes, ein Engel oder ein Mensch, oder nur ein Traum? Sie ist sich da nicht sicher.
In ihrem Inneren hört sie jetzt wieder die Stimme dieses Engels, und er singt in den Worten des alten Liedes: Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Geheilt – das Wort klingt in ihr nach. Sie kann es nicht deuten. Es kann sie auch nicht trösten. Sie hört in sich das Lied, dieses alte und zugleich fremde Lied, und fragt sich in ihrem Schmerz: War es deswegen? War das sein Auftrag? Uns heil zu machen? Ist es ihm gelungen?
Und sie gibt ihn den Männern. Fragend und trauernd. Es ist Freitag. Was kann jetzt noch kommen?
Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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