Gottesdienst Predigt vom 28.05.2017

Predigt zu Epheser 3, 14 – 21 - Pastor Henning Hinrichs

Liebe Gemeinde!
Als ich in den letzten Tagen im Garten saß, ist mir wieder einmal unsere Rose aufgefallen. Eine Rosenblüte weckt Erinnerungen, an Liebe und an Sonnenschein, genauso aber an Stolz und Eigenständigkeit. Das leuchtende Rot der Rose strahlt in einer Blüte, die sich aus vielen ineinander geschichteten Blättern zusammensetzt. Viele Dichter schreiben der Rose Stolz zu, daneben eine gewisse Distanz zu allen anderen Blüten. Eine Rose kann für sich selbst stehen. In Blumensträußen verträgt sich die stolze Rose nicht besonders gut mit anderen Blüten. Deswegen finden viele Menschen Blumensträuße nur aus Rosen besonders schön. Aber umgekehrt gilt auch: Die Rose gehört zu den wenigen Blumen, die man, ohne als knauserig zu gelten, als einzelne Exemplare verschenken kann. Unabhängigkeit und Stolz, die man Rosen zuschreibt, können auch in den Dornen ihren Stachel finden. Dornen machen es schwierig, die Stengel festzuhalten. Rosen haben etwas Unantastbares, etwas Unberührbares: Rosen stehen für sich selbst.
Die Passage aus dem Epheserbrief, dem heutigen Predigttext, kommt mir wie eine Rose vor. Diese Passage ist ein Gebet, es steht für sich selbst und ist nicht einfach zu begreifen. Es ist von einer gewissen stolzen Unnahbarkeit. Ein Bibeltext wie eine Rose.
Auch solch einen Bibeltext kann man erklären und zerteilen wie man eine Rosenblüte in ihre einzelnen Blätter zerpflücken kann. Der Dichter Bertolt Brecht hat einmal vor Schülern über Gedichte gesprochen. Und er hat Gedichte mit Rosen verglichen, und er stellte die Frage: Was soll ich mit schwierigen Gedichten machen? Stehenlassen und genießen? Oder aufteilen und die Einzelteile betrachten? Brecht favorisierte die zweite Meinung. Er sagte: „Zerpflücke eine Rose, und jedes Blatt ist schön“.
Zerpflücke ein Gedicht und jeder Vers ist schön. Zerpflücke eine Briefstelle aus der Bibel und jedes Wort ist schön. Kann man, soll man ein Gebet zerpflücken? Hier der Predigttext aus dem Epheserbrief.
Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Das sind eindringliche, enthusiastische Worte. Sie erschließen sich nicht beim ersten Hören, stehen stolz wie eine Rose vor Augen, und so auf Anhieb ist man nicht in der Lage, in die Tiefe der Blüte hineinzuschauen, ohne den Aufbau, das stilistische Wachstum dieser Sätze zu zerstören.
Dieses Gebet aus dem Epheserbrief ist eine stolze Rose, geprägt von überschwänglicher Freude an den Worten. Der Glaube bringt hier einen Enthusiasmus hervor, der die Grammatik und Logik der Sätze beinahe zum Einstürzen bringt.
Hier betet jemand nicht sparsam, sondern aus vollem Herzen, mit allen Worten und Sätzen, die ihm lobend, preisend und voller Glaubensüberschwang zur Verfügung stehen. Man muss das nicht verstehen, um es zu begreifen. Vielleicht genügt es, darüber zu staunen und im Staunen einige der Wortfetzen aufzufangen und sie ein wenig zu drehen und zu wenden, an ihnen zu riechen und in der Hand das zarte, seidige Gewebe der Blütenblätter zu spüren.
Das Epheser-Gebet beginnt mit dem Vater, der alle, die ihn anbeten, zu Kindern macht. Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden. Weil es den Vater gibt, gibt es Kinder, der Vater erst macht die Betenden zu Kindern. Gott und Mensch sind nicht gleich, auch wenn der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde. Es besteht ein Graben, der sich nicht kleinreden läßt. Der Briefschreiber muss alle stilistische Anstrengung aufwenden, um im Gebet über diesen Graben hinwegzukommen.
Auf das Verhältnis von Gott und Mensch sind ganz unterschiedliche Bilder angewendet worden. Wäre Gott ein allmächtiger Diktator, so wären die Menschen unterdrückte, tyrannisierte Untertanen. Wäre Gott ein Frauen- und Knabenheld wie Jupiter auf dem Olymp, so wären die Menschen Freiwild, das sich seiner Nachstellungen wehren müßte. Wäre Gott ein blindes Schicksal, so wären die Menschen vom Zufall und vom Unglück geplagte Ameisen, die nicht wissen, was mit ihnen geschieht.
Aber der Epheserbrief macht Gott nicht zum Diktator, zum Tyrannen, zum Frauenheld oder zum blinden Schicksal. Der Epheserbrief führt seinen Lesern Gott als Vater seiner Kinder im Glauben vor Augen. Wenn Gott zum Vater wird, werden die Glaubenden zu Kindern.
Ja, es gibt dieses Gefälle noch, den Graben. Kinder sind bedürftig, sie brauchen einen Vater, der vieles zugleich leistet: Orientierung, Schutz, Fürsorge, Sicherheit. Die Rolle des Vaters unterscheidet sich dabei von der Rolle der Mutter, manchmal nicht unbedingt in der praktischen Ausübung, aber doch in den Bildern, die Menschen damit verbinden, und gerade dann, wenn Kinder ohne Vater oder einem Vater, der partout nicht Vater sein will, aufwachsen, merkt man das an den Leerstellen in ihrem Leben.
Gott als Vater wird für manche so auch zur Leerstelle. Sie sagen: Wir beten so viel, aber Gott hört uns nicht. Die Gebete seiner Kinder verhallen wirkungslos und ungehört. Ein Vater, der keine Antworten gibt auf die bohrenden, neugierigen Fragen seiner Kinder, kann kein richtiger Vater sein.
Das Väter-Kinder-Bild kann also nicht für sich selbst stehen, um das Verhältnis von Gott und Menschen zu beschreiben. Da braucht es noch mehr. Der Briefschreiber wünscht uns, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Um ein Kind Gottes zu werden, reicht es nicht aus, sich einfach in der Taufe dazu zu erklären und väterliche göttliche Liebe in Anspruch zu nehmen. Dazu braucht es mehr: Christus soll durch den Glauben im Herzen wohnen.
Wie war das noch mit der Rose, der Rose, die im Epheserbrief gar nicht auftaucht? Martin Luther hat als Siegel eine Rose verwendet. Diese so genannte Lutherrose war ein Kennzeichen seiner Theologie. Innen befand sich ein schwarzes Kreuz in einem roten Herzen; dieses war umgeben von einer weißen Rose, und darum herum ein goldener Ring. Luther hat darüber in einem Brief an einen Freund folgendes geschrieben: „Das erst sollt ein Kreuz sein, schwarz im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte, damit ich mir selbst Erinnerung gäbe, dass der Glaube an den Gekreuzigten uns selig machet. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht. (…) Solch Herz aber soll mitten in einer weißen Rosen stehen, anzuzeigen, dass der Glaube Freude, Trost und Friede gibt, darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose stehet im himmelfarben Felde, dass solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlische Freude zukünftig, jetzt wohl schon drinnen begriffen und durch Hoffnung gefasset, aber noch nicht offenbar. Und in solch Feld einen goldenen Ring, dass solch Seligkeit im Himmel ewig währet und kein Ende hat und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das höchste, köstlichste Erz ist“. (WA, Luthers Briefwechsel, 5. Band, S. 444f .)
Ein schwarzes Kreuz, ein rotes Herz, eine weiße Rose und ein goldener Ring: Alle vier Symbole halten nach Martin Luther den Menschen in seinem Innern auf der Spur des Glaubens. Zum Kind des Glaubens wird man innen, im Herzen, wo Christus wohnt. Christus wohnt in mir. Innen ein Kind Gottes – außen ein erwachsener Mensch. Aus dieser Spannung lebt das Gebet des Epheserbriefs, daraus gewinnt es seine Tiefe, aber auch seine Bedeutung für mein Leben im Hier und Jetzt.
Mit Bestürzung und zunehmendem Schrecken verfolge ich die Nachrichten der letzten Woche, Monate, Jahre, vielleicht geht es Ihnen auch so: von der Finanzkrise in Griechenland, von riesigen Kreditübernahmen redet ja kaum mehr einer, weil immer wieder etwas hinzu kommt. Draußen in der Welt Konflikt um Konflikt. Solche politischen und wirtschaftlichen Konflikte brauchen Nüchternheit und Sachverstand, ein pragmatisches Kalkül, das sich durch Gefühle wie Zorn und Neid möglichst nicht beeindrucken lässt.
Und dann gibt es die Konflikte, die jeder und jede von uns täglich erlebt. Ich will mich nicht in langen Schilderungen von Streit und Leiden ergehen. Aber da ist die Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen für mich hilfreich. Denn diese Unterscheidung hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Glaube zielt auf das Herz, auf das innere Zentrum des Menschen, auf den inneren Punkt, an dem Lebens- und Kraftlinien zusammenlaufen. Dort soll Christus wohnen. Er wohnt dort in dem Sinn, dass er die Entfernung zwischen Mensch und Gott überbrückt, dass er den Vater zurückholt in mein Leben.
Christus in meinem Herzen beseitigt keinen der Konflikte, die mich in diesen Wochen besorgt machen, weder die Terrorgefahr noch eine schwere Krankheit noch irgendein anderes Leiden. Aber ein so erfülltes Herz gibt mir eine Gewissheit, den Glauben, der mich im Herzen kräftigt und stärkt. Aus dieser Kraft gewinne ich die Stärke, Krisen zu bewältigen oder zu ertragen. Diese Kraft des Herzens stärkt die Fähigkeiten der Vernunft, sie bringt sie zum Blühen, schön wie eine Rose.
Texte aus der Bibel, besonders die Gebete, wollen gelesen, mitgesprochen werden, so wie der Psalm zu Beginn. Dann führen sie mich zurück auf die Spur der Kinder Gottes. Gott als Vater, ich als Kind, verbunden und erfüllt.
Amen.

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