Gottesdienst Predigt 21.10.2018

Predigt zu Jeremia 29, 1.4-7(8-9)10-14 – Pastor Henning Hinrichs

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde, wenn ich den Wochenspruch, mit dem ich den Gottesdienst eröffnet habe, höre, dann denke ich immer an die Überwindung böser Menschen oder Organisationen.

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Römer 12,21)

Ich denke also etwa an Menschen, die mich schlecht behandeln und denen ich trotzdem freundlich versuche zu begegnen. Etwa um sie zu erstaunen, sie zu beschämen vielleicht sogar, damit sie es demnächst anders tun. Oder mindestens, und das ist für mich das Wichtigste, um mich nicht selbst von ihrer Aggression anstecken zu lassen, damit ich nicht selbst um ein Stück mehr böse werde. Denn das passiert fast unbemerkt mit jeder schlechten Reaktion, sie wird ein Teil von mir, setzt sich in meinem Herzen fest, verändert mich. Kennen sie diese vergrätzten, wütenden Mitmenschen? Warum sind sie nur so geworden? Gehe ich schlecht mit anderen um, mag es auch verständlich erscheinen als Gerechtigkeit, Bestrafung oder Rache, dann hat das nicht nur Konsequenzen für die anderen, sondern ja auch für mich. Sofort fühle ich Befriedigung - dem hab ich ´s aber gezeigt - aber langfristig überwindet mich das Böse, es macht mich böse. Dann doch lieber Menschen, auch den Vergrätzten, im Guten begegnen. Meinetwegen auch manchmal runterschlucken, wo nichts zu ändern oder diskutieren ist, nicht immer, aber dann schon, oder auch mal die andere Wange hinhalten.

Das Hinhalten der anderen Wange ist ja geradezu sprichwörtlich für christliches Verhalten geworden. Und häufig wird es als Schwäche verstanden. So wie jetzt wieder durch Chinas Präsident Xi Jinping, der im Handelsstreit mit den USA sagte: "Im Westen gibt es die Neigung, die rechte Backe hinzuhalten, wenn jemand auf die linke geschlagen hat. In unserer Kultur schlagen wir zurück.“

Gemeint ist im Hinhalten der anderen Wange aber eigentlich eine Stärke. Denn Zurückzuschlagen ist der einfache, schnelle Weg, der ohne Nachdenken erfolgt, ein Reflex. Zack! Aber die andere Wange hinzuhalten, erfordert innere Ruhe und Überlegung, sogar Überlegenheit und Stärke, nicht das zu tun, was so verständlich ist. Und vor allem die Einsicht darin, dass ein Gegenschlag mehr schadet als hilft. Er lässt das Böse wachsen, in mir, im anderen, es breitet sich aus.

Die Frage, die man diskutieren kann, ist eigentlich nur, ob man damit wirklich zum Ziel kommt. Aber wenn man diese Frage stellt, dann kommt es darauf an festzulegen, wann ich mein Ziel denn erreicht habe, was mein Ziel ist. Ist es, dass ich in einem Konflikt gewinne, dann bringt mich das Hinhalten nicht unbedingt voran, vielleicht manchmal, wenn mein Gegenüber merkt, wie schlecht sein Handeln ist, aber nicht immer, ich kann ja auch niedergestreckt werden mit einem dritten und vierten Schlag.

Aber wenn mein Ziel ist, mich nicht vom Bösen überwinden zu lassen, also selbst böse zu werden, auf die dunkle Seite gezogen zu werden, dann erreiche ich mein Ziel immer im Hinhalten der anderen Wange, nämlich das Ziel meines inneren Friedens. Für Jesus, für Paulus und für ihre Nachfolger jedenfalls ist es wichtiger, an Seele und Geist unbeschadet zu bleiben, wenn auch der Körper verletzt wird, statt für mein Recht neue Gewalt zu sähen, mich zum Schlechten hin zu verändern, immer ein Stück mehr.

Ich halte nicht immer die andere Wange hin. Manchmal ist der gewagte Konflikt, die Auseinandersetzung ja auch fruchtbar. Aber zurückschlagen, den anderen niedermachen, das ist nicht der richtige Weg – sollte er auch in China nicht sein, nirgendwo.

Der größte Feind des Menschen ist nicht immer der andere, es ist das Böse, das in ihm, in mir selbst wachsen kann.

Das Böse taucht auch im Vaterunser auf. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. In letzter Zeit wird betont, dass man den ersten Satz - Und führe uns nicht in Versuchung - eigentlich anders sprechen muss, weil er falsch übersetzt ist. Gott führt Menschen nicht in Versuchung, das macht in der Bibel der Teufel, also die Personifizierung des Bösen schlechthin. Er hatte Jesus in der Wüste versucht, wollte ihn von Gott abbringen und auf seine Seite ziehen, wie so ein kleiner Teufel auf der Schulter in Filmen und Comics, der einem einflüstert: Ach, ist doch alles gar nicht so wild, mach es, du hast es dir verdient. Los hau drauf!

Korrekt lautet die Bitte: Und lass uns nicht in Versuchung geraten, also: beschütze uns vor den Dingen, die uns schwach machen, die uns vom richtigen Weg ablenken - und dann passt auch der Folgesatz: sondern erlöse uns von dem Bösen.

Und lass uns nicht in Versuchung geraten, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Als das Volk Israel tief in der babylonischen Gefangenschaft steckte, und nicht mehr wusste, woher es Identität, Sinn und Hoffnung nehmen sollte, gab der Prophet Jeremia Worte Gottes an sie weiter. Denn es war für sie eine vertrackte Situation. Über Jahrhunderte hatten sie sich von anderen Kulturen mit anderer Religion abgesondert. Wollte man etwa heiraten, heiratete man einen Israeliten, eine Israelitin, aber wie sollte das gehen in diesem fremden Riesenland Babylon, wo die Volksgenossen verstreut waren? Wie sollte man mit der fremden Kultur umgehen, einer Kultur, in der man Sklave, Unterdrückter, Besiegter war? Die Babylonier waren doch die Bösen!

Und dann diese Worte Gottes: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.

Gott ist hier ganz der Pragmatiker. Er denkt sachorientiert: Mein Volk soll leben. Was brauchen sie dafür: Familien, Nahrung, einen Lebensort, Hoffnung, Vertrauen. Was früher galt, die Abgrenzung, wird hier außer Kraft gesetzt. Alle Dogmen und Ideologien spielen jetzt keine Rolle, weil die Not groß ist. Was brauchen sie um zu leben – das ist gut.

Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.

Betet für die, die in euren Augen eure Feinde sind. Geht es ihnen gut, geht es euch gut. Das ist Pragmatismus! Wenn die Israeliten dann wieder in ihrem Land sind, dann mögen wieder die Dogmen und Ideallösungen gelten, aber jetzt, in der Not nicht. Gut ist, was hilft. Böse ist, was Leben verhindert. Erlöse uns von dem Bösen.

Vielleicht ist ja noch mehr gemeint als der Feind, die böse Macht. Denn böse ist möglicherweise alles, was dem Leben schadet, auch die Krankheit, die Dinge, die ich zu ertragen habe. Gott will unser Leben, dass wir es bestehen können. Gott ist Pragmatiker und Glaube hat einen ganz praktischen Sinn: er soll mich befreien von dem, worin ich gefangen bin. Gott will mich befreien. Glaube ich ihm, ist der erste Schritt getan, und der erste ist ja oft genug der wichtigste Schritt, alle anderen folgen.

Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR.

Wovon will oder sollte ich befreit werden? Das ist vielleicht bei jeder und jedem von uns etwas anderes. Bei dem einen ist es der übertriebene Ehrgeiz, der ihm alle Luft zum Atmen und jede Fröhlichkeit nimmt, bei der anderen der fehlende Ehrgeiz, der Möglichkeiten vorbeiziehen lässt und sie hemmt. Ist es die Krankheit oder körperliche Beeinträchtigung, die meine Gedanken festhält und mich gar nichts anderes mehr sehen lässt? Oder die Sucht nach Abenteuer, Extremen oder extrem Teurem?

Alles kann mich gefangen nehmen, alles kann mir zum Bösen werden, wenn es mich bestimmt. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Früher habe ich auf die Frage meiner Frau etwa im Urlaub, ob ich gerne an dem Ort sei, geantwortet - und manchmal waren das wirklich keine schönen Orte: Es ist nicht wichtig, wo man ist, sondern mit wem man wo ist.

Vielleicht hat Gott das so ähnlich auch den Israeliten gesagt: Es ist nicht wichtig, wo ihr seid, ob nun in Israel oder Babylon, in Freiheit oder Gefangenschaft, im Himmel oder in der Hölle auf Erden. Es ist am wichtigsten, mit wem ihr wo seid. Ihr seid mit mir hier. Und mit mir könnt ihr jeden Ort zu einem guten Ort machen, indem ihr euch an dem Guten orientiert, an dem Guten überhaupt, an Gott, mit einem guten Blick auf die Dinge, mit der guten Tat. Das macht dich frei. Wo du auch bist, ich in bei dir.

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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